San Gil - Das Abenteuer ruft
Unsere Weiterfahrt nach San Gil gestaltete sich zunächst etwas kompliziert. Wir konnten die Tickets für den Bus online nicht buchen und mussten unser Glück einfach vor Ort probieren. Unser Uber zum Bus Terminal hat im Stau festgesteckt, sodass wir 9:57 Uhr ankamen und unser Bus, für den wir wie gesagt noch keine Tickets hatten, sollte um 10:01 Uhr losfahren. Wir sind durchs Terminal gehetzt und als wir dann am richtigen Ort waren, hat uns die Frau am Schalter erstmal die falschen Tickets verkauft. Sie hat uns wohl nicht richtig verstanden, aber nachfragen wollte sie auch nicht. Wir haben auf die neuen - richtigen - Tickets gedrängelt und die Frau hat in aller Ruhe die Tickets umgetauscht, uns aber den selben Preis berechnet. Julius hat drauf hingewiesen dass die richtigen Tickets billiger waren und dann hat es wieder ein Weilchen gedauert bis wir das korrekte Wechselgeld hatten. Mittlerweile war es 10:05 aber die Frau war noch optimistisch und meinte nur wir sollen uns bisschen beeilen. Tatsächlich! Als wir am Bus Gate ankamen war der Bus noch nicht mal da! Auf die Lateinamerikanische Unpünktlichkeit ist Verlass! Zu unserem großen Glück!
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San Gil in der Abendsonne |
Wir sind eingestiegen und wir habe die ganze Fahrt über mit den Augen an der Scheibe geklebt. Ich war sowieso noch zu schwach um mich mit Musik, Podcast oder sonstigem zu beschallen, daher habe ich mich einfach damit beglückt, aus dem Fenster zu schauen. Für ganze 9h!
Die Fahrt war eigentlich mit 6h ausgeschrieben aber das war, wie uns im Nachhinein aufgefallen ist, schlicht unmöglich. Der Weg führt durch immer höher werdende, dschungelig grüne Berglandschaften und die Aussicht war wirklich sehr abswechslungsreich.
Wir sind erst gegen 19:30 (statt 16:30) in San Gil, einem kleinen Bergdorf in dem Bundesstaat Santander, angekommen. Nach dem einchecken haben wir das einzige ansatzweise vegetarische Restaurant rausgekramt, dort was gegessen und dann endlich in die waagerechte und ins Bett gefallen. Die Fahrt war eine der angenehmsten die ich je hatte und ich habe die Aussicht sehr genossen, aber da ich immernoch in der Genesungsphase war, war es natürlich trotzdem bissschen anstrengend.
Erster Tag in San Gil
Julius hat direkt losgelegt mit den Outdoor Aktivitäten und ist am Morgen los zum “caving” - einer spektakulären Höhlenwanderung. Da Höhlen generell nicht so mein Ding sind und ich mir erstmal noch einen Tag Ruhe gönnen wollte, bin ich im Hostel geblieben und habe einen ruhigen Morgen mit Tagebuch schreiben, lesen und Kontaktpflege in die Heimat verbracht. Es war ein regnerischer Morgen und so hat alles gepasst. Ich habe auf eigene Faust einen kleinen Stadterkundungsspaziergang gemacht. San Gil ist um eine Art Tal herum gebaut und erstreckt sich auf beiden Seiten steil nach oben. Wirklich steil! Ich habe noch nie in meinem Leben Straßen mit so hohem Gefälle gesehen! Ich war unglaublich beeindruckt von den zig Autos, Bussen und Motorrädern, die, zwar sehr sehr langsam, aber immerhin, ihren Weg nach oben gebahnt haben.
Die Stadt pulsierte vor Leben; überall Menschen am Einkaufen, Handeln, Verkaufen oder am quatschen. Der Strassenverkehr war wahnsinnig dicht, da alle Straßen Einbahnstraßen waren und auch gefühlt jede Straße in einer Frequenz einer Hauptstraße befahren wurde.
Als Julius vom Caving zurück kam und mir davon erzählt hat, war ich einmal mehr froh, dass ich nicht dabei war! Er musste teilweise blind durch dreckiges Wasser an einem 5m langen Seil entlang tauchen und hatte beim Luft holen nur 20cm bis zu Decke Platz. 🫣 Wie im Horrorfilm!
Wir haben noch einen gemeinsamen Stadtspaziergang gemacht und am Abend wieder mal eine Mahlzeit nur aus Früchten “zubereitet”: Eine Papaya, eine Mango, viele Drachenfrüchte (ich liebe die!) und eine Maracuja. Wir könnten uns beide in die ganzen Früchte hier reinlegen und wir essen jeden Tag mindestens eine Mahlzeit nur Früchte. 🍇 Mit dem Essen als Vegetarier/in ist es hier schwierig. Zum Mitnehmen gibt es überhaupt nichts, die Gebäcke und Teilchen die am Straßenrand verkauft werden sind schrecklich süß und in Restaurants gibt es maximal 2 vegetarische Optionen und die sind sehr öde. Da müssen wir uns noch was einfallen lassen, denn nur von Müsliriegeln, Nüssen und Früchten geht es auf Dauer nicht.
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Ich wollte mit meiner Körperhaltung zeigen wie steil die Straßen sind, aber auf dem Foto kommt es nicht so authentisch raus… |
Ich habe im letzten Eintrag ganz vergessen, etwas über meine Grundstimmung beim Reisen zu schreiben - die ist nämlich sehr anders als sonst. Durch den langen Zeitraum, der dieses Mal vor mir liegt und den ich nach wie vor nicht fassen und greifen kann, bin ich (insbesondere in Bogota) unglaublich entspannt und zurückgelehnt. Ich denke fast nicht a den nächsten Tag und plane nichts voraus außer ich muss. Ich habe endlich mal Zeit! Das gibt mir die Freiheit total in den Moment einzutauchen und nicht hat gestern oder morgen zu denken. Auch, dass ich mit Julius reise und ich bei nichts die alleinige Verantwortung habe, entspannt mich nochmal mehr. Es ist gerade sehr sehr schön wie es ist und ich genieße es, wenn ich doch mal a die Zukunft denke 😉, sie mit ganz vielen tollen Dingen vor mir liegend zu wissen. 😇
Trotz dessen, dass ich so viel Zeit wie nie zum reisen habe, sind Julius und ich uns aber schon ziemlich schnell einig gewesen, dass man ganz einfach auch 4 Monate nur in Kolumbien verbringen könnte. Kolumbien ist jetzt schon unglaublich vielseitig und bietet einem fast alles. Und das sagen wir, obwohl wir erst eine Woche da sind! Ich denke dieser Eindruck wird sich mit der Zeit nur bestätigen. 🌎
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Unser Frucht Picknick Spot auf der Hostel Dachterasse |
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Julius Blick als er die knall orange Mango aufgeschnitten hat |
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Das wird vermutlich unser Standard Hostel Essen |
Am Abend des ersten Tages sind wir noch Tejo spielen gegangen. Das ist ein kolumbianisches Spiel - ähnlich zu einem Mix aus Boccia und Dart - bei dem man einen 1-2kg Stein auf einen schräges Brett mit Ton wirft. In diesem Ton ist ein Kreis und in diesem Kreis zwei Beutelchen mit Schießpulver, das explodiert wenn man es trifft. Das eine Ziel ist natürlich, so oft wie möglich eine Explosion herbeizuführen; das andere möglichst nah a den Kreis zu werfen. Wir wurden in Teams aufgeteilt und Julius und ich sind in einem Team nur aus Deutschen gelandet! Allerdings auch im
Gewinner Team. Denn wir haben sowohl den Teampreis mit den meisten Würfen in der Nähe des Kreises als auch die meisten Explosionen abgeräumt! Wuhu!
Es war ein sehr lustige Abend und wir haben noch andere Reisende aus den verschiedenen Hostels in San Gil kennengelernt. Unter anderem Ina (auch Deutsche aus unserem Team), die mit ihrer Freundin schon zwei Monate in Kolumbien unterwegs ist. Mit den beiden haben wir uns für den nächsten Abend zum Essen verabredet, um unseren Preis - einen Browniegutschein - einzulösen. 😇
Zweiter Tag in San Gil
So jetzt sollte es auch für mich mit dem Abenteuer losgehen! Julius und ich haben uns für die krasseste Raftingtour angemeldet, die wir im Katalog finden konnten! Wenn schon, denn schon! Wir wurden am Hostel abgeholt und erstmal ins Büro gefahren, wo wir einen Vertrag unterschreiben mussten, indem sich die Rafting Organisation gegen so ziemlich alles abgesichert hat, was potenziell passieren könnte. Der erste Punkt lautete: “I acknowledge that there are risks (trauma, death) involved in this outdoor activity and I accept this fact.” (“Ich weiß, dass die Aktivität mit Risiken verbunden ist (Trauma, Tod) und ich akzeptiere es!”) 😁 Wir mussten einmal laut lachen aber haben natürlich unterschrieben.
Los ging es mit einem engen Van über Schotterstraßen durch die Dschungelige Berglandschaft. Es war eine spektakuläre Fahrt mit wahnsinnigem Ausblick. Wir saßen wieder gebannt hinter der Scheibe.
Insgesamt waren wir 5 Personen im Boot plus 2 Guides - einer im Kayak einer im Boot mit uns. Nach einem ausführlichen Sicherheitsbriefing hat sich unser Steuermann kurz bekreuzigt und es ging los. Ich wusste nicht genau, ob mich das beruhigen oder beunruhigen soll.😁🫣
Es war wirklich das coolste und abenteuerlichste Rafting was ich bisher gemacht habe, und ich habe schon einige gemacht! Allerdings habe ich mich irgendwie nicht ganz so mit meinen Schuhen im Boot verkeilt wie ich es sollte, und bin bei der ersten intensiveren Stromschnelle direkt über Bord gegangen. 😬 Ich bin ein paar Meter weit getrieben und zwei Mal von der Strömung unter Wasser gedrückt, bis ich vom Boot gerettet wurde. Ich hatte aber vor allem Schiss, dass ich an irgendeinen Stein anschlage. Das war mal ein Einstieg!
Das Wasser war zum Glück schön warm und wir haben uns stellenweise einfach in unserem Schwimmwesten treiben lassen, wenn das Wasser ruhig war. Es war auch eine atemberaubende Kulisse und die Momente wo man mal nicht den Blick aufs Wasser fixiert hatte, waren rar.
Wir waren 2h auf dem Wasser und sind dann irgendwo im Nirgendwo angelandet, wo schon ein süßes Picknick für uns vorbereitet wurde. Inmitten einer Kuhherde haben wir gegessen und unser Rafting Abenteuer ausklingen lassen. 🛶
Die Abfälle von unserem Picknick wurden sehr gewissenhaft in “Bierdosen und Alu”, “Fruchtreste” und “Hähnchenreste” getrennt, die Fruchtschalen an die Kühe verfüttert, die Hähnchenknochen an den streunenden Hund und die noch essbaren Reste vom Picknick haben wir auf dem Rückweg einer kleinen Familie gegeben. Generell empfinde ich die Kolumbianer/innen als sehr freundlich zueinander und zu den Tieren. Alle streunenden Hunde und Katzen sind immer gut genährt, werden die weggescheucht oder gepisackt. Und auch zueinander sind die Menschen hier immer wohlwollend und nett. In Bogota saßen wir im Uber und ein Motorradfahrer hat sich an uns vorbei geschlengelt und dabei versehentlich den Aussen-Spiegel von unserem Uber umgefahren. Der hat jedoch lediglich die Scheibe runtergelassen und den Spiegel wieder gerade gemacht. Wir Deutschen Ordnungs-Liebhaber saßen sprachlos im Auto und haben den Fahrer gefragt, ob er nicht sauer wäre. Seine Antwort: “Nein, denn er hätte sich ja mit einem Handwink entschuldigt.” Im Strassenverkehr allgemein geht es sehr lebhaft aber niemals aggressiv zu. Gehupt wird hier andauernd aber eher als Kommunikationsmethode und weniger als “Ey du Arsch pass doch auf!” Knopf wie bei uns. Wir haben auf dem Rückweg vom Rafting mehrmals Leute vorbei gelassen, weil wir langsamer waren mit dem Boot hinten dran. Die vorbeifahrenden haben zwei Mal gehupt = Danke und wir dann auch = Bitte. So niedlich! 😊
Nach dem Rafting waren wir noch mit Ina vom Tejoabend und ihrer Freundin essen.
Dritter Tag in San Gil
Für den dritten Tag stand etwas ganz besonderes auf dem Programm. Schon beim ersten Blick in den Aktivitätenkatalog des Hostels war mir klar: Das will ich machen! Hier in der Nähe ist der zweitgrößte Canyon Südamerikas und man kann über ihn hinweg paragliden! Julius war auch dabei und so ging es früh am Morgen los auf den höchsten Berg der Umgebung als Startpunkt.
Allein von der Start”Bahn” war die Aussicht schon fantastisch.
Nach einem wesentlich kürzeren Sicherheitstraining ging es auch schon los. Ich wurde an meinen Guide geschnallt, wir sind kurz ein paar Schritte vorgelaufen, damit sich der Schirm aufrichtet und dann wurde ich vom Guide am Boden auch schon zum losrennen beordert. Und auf einmal war da kein Boden mehr unter meinen Füßen!
Ich war total geflasht und konnte es nicht fassen! Mein Mund stand die ersten 5min vom Flug sicher sperangelweit offen!
Wir haben versucht die Thermik so auszunutzen dass wir noch weiter aufsteigen und sind tatsächlich vom Startpunkt aus noch über 700m aufgestiegen! Es war so ein absurdes Gefühl so weit über der Erde und allen umliegenden Gipfeln zu sein aber nicht im Flugzeug zu sitzen sondern die Luft zu spüren und seine Beine baumeln zu sehen!!! 🪂
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Aussicht vom Startpunkt auf den Canyon |
wir sind sogar durch eine Wolke durchgeflogen und es war kurz alles weiß um uns herum. Mein Guide hat versucht mir auf Spanisch ein paar Dinge zu erzählen aber ich war ganz woanders mit den Gedanken. Nach einer Weile fragt er mich ob ich einen kleinen gratis Trick möchte und ich hab natürlich ja gesagt. Er ist eine Achterschlaufe geflogen und wir waren für einen kurzen Moment auf einer Horizontalen mit dem Schirm! Es war super! 👍🏼
Nach circa 25min sind wir wieder gelandet. Ich war direkt etwas wackelig auf den Beinen.
Nach einer kurzen Verdauungspauze ging es mit dem Van wieder nach San Gil und Julius und ich waren beide so müde dass wir uns erstmal hingebracht haben und geschlafen. 😴
Den restlichen Tag haben wir die Abenteuer der letzten zwei Tage sacken lassen und im Hostel verbracht.
Vierter Tag in San Gil
An unserem letzten Tag in San Gil haben wir für den Abend einen Nachtbus a die Küste im Norden des Landes gebucht. Wir hatten also nochmal einen ganzen Tag in San Gil.
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Hier hoch musste man klettern, aber ich bin schon an der Flussquerung unten gescheitert; bei vollen Kräften und mit Rucksack hätte ich diese Wanderung geliebt… |
Der Hostelbetreiber hat uns empfohlen einen Bus zu einem sehr schönen Wasserfall mit Becken zum Baden zu nehmen. Also haben wir das gemacht. Am Eingang angekommen hat uns niemand vorgewarnt, dass es sich keinesfalls um einen kleinen, Flip-Flop tauglichen Spaziergang durch den Dschungel handelt - wovon wir ausgegangen sind - sondern wasserfeste Schuhe, freie Hände und Schwindelfreiheit erforderlich sind. Wir musste teilweise über Steine fließendes Wasser klettern, dann Kam mal ein kleiner Wasserfall von oben direkt auf uns herunter und dann mussten wir eine kleine Flussquerung machen.
Ich war auf sowas überhaupt nicht vorbereitet, hatte nur meinen Beutel dabei, den ich mir mit Not auf den Rücken gebunden habe, um die Hände frei zu haben. Ich wollte aber weder meine Schuhe nass machen noch klettern. Ich wollte einfach einen ruhigen Tag haben. Ich habe Julius gesagt, ich möchte umdrehen und ins Hostel zurück. Er wollte noch etwas bleiben und so haben wir uns aufgeteilt und ich hab mich a die Straße gestellt, auf den Bus gewartet, gewunken, bin eingestiegen und zurück ins Hostel gefahren. Dort haben wir den restlichen Tag bis zum Abend verbracht.
Am Abend ging es dann mit Sack und Pack zum Terminal und kurz vorm Einsteigen haben Julius und ich noch eine Wette abgeschlossen, mit wie viel Verspätung der Bus wohl an der Küste in Santa Marta ankommen wird. Ich habe gesagt, er kommt 10:30 (statt 8:00 Uhr) an und Julius hat etwas pessimistischer auf 11:30 getippt. Nach unserer ersten Buserfahrung hatten wir beide wenig Hoffnung dass der Bus nur die angezeigten 12h brauchen wird, wo doch Google Maps schon 14h für die Route berechnet. 🚌
Wie lange es dann gedauert, erfahrt ihr im nächsten Eintrag! 😉🚌🏝️
Polarsteps:
Follow my trip ‘South America 2024 🌎’
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