Reiseerfahrungen 2022 🚴🏼♀️
Nun bin ich wieder zu Hause und schaue auf 7 Wochen auf dem Fahrrad zurück. Es ist unglaublich, wie schnell diese Zeit vergangen ist und wie viel ich erlebt habe. Wie jedes Jahr gibt es Erfahrungen, die für mich besonders lehrreich waren und die ich hier gerne teilen möchte. (Das wird jetzt etwas umfangreicher als sonst, deshalb hat's auch so lange gedauert)
Hilfe annehmen und ablehnen
Etwas, was man beim Alleinreisen viel öfter in Anspruch nehmen muss als im normalen Alltag ist Hilfe. Ob es eine Luftpumpe, eine Wegbeschreibung, Fahrrad-Reparatur-Künste oder ein Gefallen ist… Hilfe brauchte ich auf meiner Reise öfter mal. Danach fragen musste ich allerdings nicht immer. Gerade was das Rad betrifft, haben nach 2min immer Leute angehalten, wenn sie gesehen haben, dass ich irgendwas drehe und fummele und offenbar nicht weiterkomme. Ich habe auf meiner Reise ein Luftpumpen-Ventil (Lebensretter !), einen Fahrradschlauch, einen kostenlosen Reifenwechsel und jede Menge Fahrradöl geschenkt bekommen. Allerdings musste ich auch so oft wie noch nie Hilfe ablehnen. Vor allem Materielles wie ein Radler, Gurken, Desinfektionsmittel, Gebäck oder irgendwelches Werkzeug kann ich an meinem Rad gar nicht mehr verstauen. Das war immer recht unangenehm, wenn man eine Sache nach der anderen ablehnt, aber in den aller meisten Fällen sehen die Leute dann selber ein, dass sie es zwar gut gemeint haben, es mir aber nicht wirklich was bringen würde. Es ist mir allerdings wirklich noch nie - auf keiner meiner Reisen - passiert, dass ich nach Hilfe gefragt und keine bekommen habe.
Mut
Etwas, das wirklich immer alle gesagt haben, nachdem ich erzählt habe, was für eine Tour ich mache und dass ich alleine bin, ist das ich ja unglaublich mutig wäre. Ich will nicht sagen, dass es für sie eine Reise keinen Mut braucht, aber es gibt gewisse Dinge, die für mich persönlich tausend mal mehr herausfordern als alleine Fahrrad zu fahren. Zum Beispiel, wie gerade gesagt, Hilfe abzulehnen, meine Bedürfnisse gegenüber Menschen zu kommunizieren, die ich gerade erst kennengelernt habe, für mich selbst einzustehen und gleichzeitig einen akzeptablen Kompromiss zu finden, Pausen machen und verweilen und auch mir mal ein Essen oder einen Eisbecher gönnen.
Was am allermeisten Mut an so einer Reise braucht, ist das Losfahren. Auch bei mir waren die ersten 3-4 Tage von vielen Zweifeln und Unsicherheiten geprägt und ich musste mich erst noch richtig entscheiden, ob ich das jetzt machen will… Man hat so viele Vorstellungen über die Reise im Kopf, dass man am Anfang erstmal von der Realität geschockt wird und sich eine neue Version der Reise auftut - die echte. Und wenn man die dann immer noch cool findet, kann es los gehen. 😊
Die gefährliche, böse Welt
Etwas, was auch immer gefragt wird, ist, ob und wie oft mir schon etwas passiert ist. Und wenn ich dann mit „Nie“ antworte, heisst es in der Regel, dass ich unfassbares Glück hatte und man für die restliche Reise nur noch alle Götter anbeten kann, dass das auch so bleibt.
Das Weltbild der meisten (nicht reisenden !!!) Menschen ist sehr sehr schlecht. Man denkt, dass an jeder zweiten Ecke ein Dieb, Mörder oder Vergewaltiger lauert und man sich gerade als Alleinreisende Frau auf ein Spiel mit dem Feuer einlässt. Meine Erfahrung ist das komplette Gegenteil! Mir wurde auf allen drei Reisen, die ich gemacht habe, noch nie etwas geklaut, obwohl ich mein Handy nachts sogar im Waschraum auf dem Campingplatz zum laden lasse. Ich musste den menschen vertrauen, da ich mein Fahrrad ja zwangsläufig stehen lassen musste, wenn ich in den Supermark gegangen bin. Und dieses Vertrauen wurde nie enttäuscht! Auch Nachts wäre es das leichteste Ding der Welt gewesen, mein Fahrrad zu klauen, da es zwar angeschlossen vorm Zelt stand aber man es ja ganz einfach ohne mein Wissen weg tragen könnte.
Die Menschen werden für sehr viel böser, egoistischer und rücksichtsloser gehalten als sie es sind! Wirklich ausnahmslos jede/r, den/die ich auf meiner Reise kennengelernt habe, war super freundlich, hilfsbereit und fürsorglich. Ich wurde eingeladen, beschenkt, und beraten. Ich würde den Menschen, die von einer so bösen und gefährlichen Welt gerne die Frage zurückstellen, wie oft ihnen selbst schon ganz schlimme Sachen durch andere Menschen passiert sind. Ich bin mir sicher, die meisten könnten keinen einzigen Fall nennen.
Die Medien sind diejenigen, die uns dieses Weltbild einreden und man sollte sich stets bewusst machen, dass dort wirklich NUR von den negativen Ereignissen berichtet wird, weil sie die AUSNAHME und nicht die Regel sind!
Nehmen was kommt
Etwas, das mich das unendlich flache und immer gleich aussehende Norddeutschland gelehrt hat, ist dass alles kommt und geht. Jede Schotterstrasse, jeder Deich, jeder Gegenwind ist irgendwann vorbei. Nichts dauert ewig. Allerdings auch nicht die perfekt asphaltierten Abschnitte mit Rückenwind. Man hat auf ganz ganz viele Dinge gar keinen Einfluss, weil es von äussern Umständen bestimmt wird. Also kann man nur seinen Umgang mit den Dingen, die einem das Leben so anspült verändern. Und das heisst: Das Gute auskosten und das Schlechte annehmen.
Mein ganzer Tagesablauf war so unberechenbar, dass mir gar nichts anderes übrig blieb. Ich wusste eigentlich gar nichts, ausser dass ich Fahrrad fahren werde. Nicht wo ich lande, wo ich schlafe, was ich esse oder wen ich kennenlernen werde. Man könnte es als Kontrollverlust bezeichnen, aber angefühlt hat es sich eher wie eine Befreiung. Denn tatsächlich kreisen 90% meiner Gedanken im Alltag um genau diese Dinge, auf die ich auf meiner Reise keinen Einfluss mehr hatte…
Alleine reisen
Zum Thema alleine reisen fasse ich mich kurz, weil ich dasu das Wichtigste schon nach den letzten beiden Reisen geschrieben habe. Mein Motto heisst mittlerweile: Lieber alleine los, als zu Hause bleiben und nichts machen! Wieso machen wir uns so oft von der Begleitung einer anderen Person abhängig? Wenn man weiss, dass man alleine klar kommt - sowohl in der Organisation als auch indem man sich selbst gut leiden kann - dann hat man sich damit meiner Meinung nach das grösste Geschenk der Welt gemacht.
Mentale Stärke und physische Stärke
Etwas, vordem ich vor dieser Reise nicht wusste, wie stark es zusammen hängt, sind mentale und psychische Stärke. Ich habe ganz oft gemerkt, dass mein Kopf und meine psychische Verfassung die Kommandozentrale für meinen Körper sind. Wenn ich wollte, ging es auch. Mein Fahrrad wurde eigentlich eher durch meinen Willen angetrieben als durch meine Beine. Wenn das Ziel und der Weg klar sind - und das war bei mir immer so - dann ging der sportliche Part von alleine. Allerdings muss man auch den Punkt erkennen, wenn die Harmonie zwischen Kopf und Körper droht, aus dem Gleichgewicht zu kommen. Wenn der Körper k.o. ist oder die Psyche nicht mehr will, dann kann der jeweils andere Part nicht alles kompensieren.
Sportliche Herausforderung
Diese Reise war natürlich vor allem eine Sportreise. Aber nach Sport hat es sich gar nicht immer angefühlt. Ich habe gerade am Anfang gemerkt, wie sich mein Körper an die Belastung anpasst. Stück für Stück bin ich immer fitter geworden und habe gemerkt, wie ich leichte Steigungen gar nicht mehr wahrnehme und sich mein Empfinden von „Ich fahre schnell“ von 25 auf 35 km/h gesteigert hat. Ich bin sehr stolz auf die Zuverlässigkeit meines Körpers. Ich dachte, dass ich wenn ich zurück in Zürich bin, erstmal flach liege und krank werde, aber ich habe mich sehr schnell regeneriert.
Die bedeutendste Erfahrung der Reise ist auf jeden Fall, dass ich nun weiss, dass ich 3000km Fahrrad fahren kann. Und das alleine. Ich liebe meine Drahtesel und werden das Radfahren so schnell nicht wieder aufgeben. Meine nächsten Reisen werden sicherlich auf zwei Rädern statt finden und ich habe auch schon einige Ideen, wohin es als nächstes gehen soll.💪🏽😇
Ich bedanke mich von ganzem Herzen, bei allen die mal reingelesen oder sogar alles mitgelesen haben.
Die mentale Unterstützung durch das Wissen, dass das jemand liest, was ich hier schreibe ist enorm.
Habt noch einen schönen Sommer!
Bis zur nächsten Reise. 🚴🏼♀️
Gepäck
Unten zeige ich jetzt nochmal, was ich alles dabei hatte. So wenig ist es nämlich gar nicht, auch wenn das immer alle denken. 😉
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