Was ich in Marokko gelernt habe...
Ich bin nun seit fast einer Woche wieder zu Hause - physisch zumindest. In meinen Gedanken reise ich minütlich zurück nach Marokko. Einerseits beschäftigt mich natürlich das Leben der Menschen in den besonders vom Erdbeben betroffenen Bergdörfern und ich trauere innerlich mit ihnen. Andererseits zieht es mich einfach zurück in dieses tolle Land.
Gerade jetzt, wo ich wieder in westlich-modernen und vor allem viel wohlhabenderen Städten wie Paris und Zürich unterwegs war, fallen mir die Unterschiede zu Marokko wieder sehr auf. Hauptunterschied: In Europa gibt es Wiesen! 😁 Nein Spass beiseite. Es stimmt zwar, dass man in Marokko fast vergeblich nach einem grünen, saftigen Wiesenabschnitt sucht, aber wichtig ist ja was ganz anderes...
Die Menschen und die Kultur
Als ich meinen Freunden und meiner Familie eröffnet habe, dass ich nach Marokko reisen möchte, war die Erleichterung, dass ich in einer Gruppe und nicht alleine reise riesig. Marokko sei gefährlich, die Menschen anders und die Männer unberechenbar. Eins davon stimmt: die Menschen sind anders - aber im positiven Sinne!
Schon am ersten Abend in Casablanca hätte ich keinen besseren ersten Eindruck von der Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Marokkaner:innen bekommen können. Zuerst die liebe Couscous-Frau, die uns am nächsten Tag sogar zu sich eingeladen hat und dann der Polizist, der seinen Sitzplatz an uns abgetreten hat, damit wir vor der Polizeizentrale essen konnten! Aber es ging weiter: Sei es ein Ladenbesitzer, der mir einen Stuhl anbietet, weil er bisschen länger braucht, um das Wechselgeld zusammen zu kramen, ein anderer, der herbei gerannt kommt, um mir eine Tüte für meine Wasserflasche zu bringen oder einfach das ständige "Welcome to Morocco!", was man immer hinterher gerufen bekommt. Natürlich kann das auch mal nerven, vor allem wenn man alleine ist. Aber unsicher habe ich mich nie gefühlt.
Was mir ausserdem als massiver Unterschied zu Deutschland und der Schweiz aufgefallen ist, ist die Einstellung beim Autofahren. Bei der Anzahl Verkehrsregelmissachtungen, die in Marokko minütlich begangen werden, wäre ein Deutscher vermutlich schon wegen einem cholerischen Anfall ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Marrokaner scheinen es nicht mal zu bemerken, oder wenn, dann wird die Fensterscheibe runter geleiert und ein kurzer Plausch mit dem anderen Fahrer angefangen. Aber niemals böse.
Ich weiss nicht, ob ich jetzt einfach alles idealisiere, aber die Menschen schienen mir immer fröhlich zu sein. Sie haben sich immer total herzlich begrüsst, zum Tee eingeladen und haben einfach eine besondere Leichtigkeit und Lebensfreude ausgestrahlt. Das Lebensgefühl, was ich in Marokko hatte, ist ein ganz anderes als ich es in der Schweiz habe. Wenn man die materiellen Vorzüge von Zürich und generell Europa mal ausser Acht lässt, weiss ich gar nicht, ob mir Marokko menschlich nicht vielleicht besser gefällt.
Unsere drei fitten Maultier-Führer und Köche |
mit der Couscous Frau und Lisa beim Teetrinken |
Unsere drei Hostel-Helden aus der Erdbeben Nacht |
bei einer Nomaden-Familie zum Teetrinken |
Afrikanische Trommler |
Die Menschen dort scheinen mir zu wissen, was im Leben wichtig ist und worauf es ankommt. Nicht auf eine tolle Wohnung, nicht auf das neuste Handy, den fittesten Körper, die reinste Haut, die gesündeste Diät, die meisten Follower, die schönsten Urlaubsbilder oder was heute sonst noch so als kriegsentscheidend aufgebläht wird. Die Menschen in Marokko leben grösstenteils sehr naturverbunden, sind fast immer draussen und - das wichtigste - sind immer in einer Gemeinschaft. Sei es die Grossfamilie, die Kumpels oder Freundinnen zum Teetrinken oder einfach Kinder, die in Scharen in den Gassen Fussball spielen. Alles wirkt so natürlich und authentisch. Niemand versucht jemand zu sein, der/die er/sie nicht ist. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander ist unbeschreiblich und das hat man auch vor dem katastrophalen Erdbeben - wo diese zwei Eigenschaften noch ungleich wichtiger geworden sind - schon gemerkt.
Ich will unseren europäisch-westlichen Wohlstand nicht verteufeln - mein Leben sähe ganz anders aus, wenn ich ihn nicht hätte - aber ich finde nicht, dass wir noch sehr nah an dem, was ursprünglich wichtig ist dran sind... Unser Wohlstand hat uns vom Wesentlichen entfremdet... und tut es noch...
Stereotype und Vorurteile
Wie ich schon kurz erwähnt habe, hatten viele von zu Hause, viele gut gemeinte Ratschläge für mich, was Marokko und seine Bewohner (hier muss ich nicht gendern - vor den Frauen hat mich niemand gewarnt) anbelangt. Das Ironische dabei ist, dass 99% derjenigen, die mich gewarnt haben, selber noch nie da waren. Wie nach jeder meiner Reisen kann ich nur immer wieder sagen: Die Medien sind die schlechteste Quelle die man haben kann, um sich ein Bild von der Menschheit zu machen! Die einzige aussagekräftige Quelle sind echte Begegnungen mit anderen Menschen. Und die sind so gut wie immer gut.
(Natürlich sollte man nicht naiv sein und mit fremden Männern mitgehen. Aber das gilt für jedes Land. )
Gruppenreise und Alleinreisen
Privilegien und Glück im Leben
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Tajiiiiiine - ich habe bestimmt die Hälfte der Abende Tajine gegessen ;) |
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